Interview mit Paul Ripke: „Sei bereit, in Dinge zu investieren, es kommt irgendwann zu dir zurück“
Es folgten viel harte Arbeit und reichlich Klinkenputzen, ein Los, das Ripke mit vielen Fotografen teilte. Doch inzwischen ist Paul Ripke zu einer Marke geworden. Wie hat er das geschafft? Im Gespräch wird schnell deutlich: Seine Stärken gehen über das Fotografieren hinaus, er hat ein exzellentes Gespür für Menschen und kann sich selbst hervorragend verkaufen. Und: Er beherrscht virtuos die visuelle Sprache des Social Webs und nutzt sie konsequent für seine Arbeit und die eigene Vermarktung. Heute ist der Autodidakt einer der bekanntesten Fotografen Deutschlands und porträtiert regelmäßig berühmte Musiker und Sportler. Mit seiner leidenschaftlichen Art und der Kraft seiner Bilder „schoss“ er sich bis ins WM-Finale im Maracanã-Stadion von Rio.

Im Interview mit OSK spricht Ripke über seinen Werdegang als Fotograf, seine Leidenschaft für den Beruf und den magischen Moment am 13. Juli 2014, der seine Karriere für immer verändert hat.
Paul, was war dein erster bezahlter Fotojob?
2002 habe ich DJ Tomekk für die BACKSPIN, ein deutschsprachiges Hip-Hop-Magazin, fotografiert. Dafür gab es genau 125 Euro Honorar. Zugeflogen ist mir der Job allerdings nicht. Aber als ich hörte, dass die Autoren der BACKSPIN ein Interview mit DJ Tomekk planten, habe ich mir gedacht, jetzt oder nie. Ich wollte dieses Foto unbedingt. Dass der zuständige Redakteur kein Budget hatte, um meine An- und Abreise zu bezahlen, war mir egal. Sie engagierten mich, weil ich behauptete, eine Bahncard zu besitzen – die habe ich mir allerdings erst nach seiner Zusage gekauft. Ich bin der festen Überzeugung, dass man als Fotograf sehr viel investieren muss. Diese Einstellung habe ich mir bis heute bewahrt.
Erinnerst du dich noch an den Moment, in dem für dich klar war: Ich werde jetzt Fotograf?
Ja, aber dafür muss ich etwas ausholen: Lange Zeit war das Fotografieren nur ein Hobby, ohne dass ich daran irgendetwas verdiente. Damals trainierte ich Jugendliche in einem Hamburger Hockeyclub und kam so irgendwie über die Runden. Der Vater einer Hockey-Schülerin, Inhaber eines Textilunternehmens mit eigenem Fotostudio, war sehr unzufrieden mit seinem fest angestellten Fotografen. Ich habe ihm daraufhin ein Konzept entwickelt, das die Umwandlung des firmeneigenen Studios in einen externen Dienstleistungsbereich mit eigener Kostenstelle vorsah. Das überzeugte den Unternehmer. Ich gründete also das „Studio Paul Ripke“, das von diesem Moment an auch anderen Kunden für Produktionen zur Verfügung stand.
Am 3. Januar 2009 war mein erster offizieller Arbeitstag: Ich fuhr auf den Parkplatz des Firmengeländes in Norderstedt und parkte dort auf einem eigenen Stellplatz für Fotografen. Da war mir klar: Jetzt bin ich Fotograf. Ab diesem Zeitpunkt habe ich auch mein Geld ausschließlich mit dem Fotografieren verdient.
Inzwischen hat Paul Ripke 15 Angestellte im Fotostudio, die überwiegend Kreativ- und Werbe-Fotoproduktionen – unter anderem für Automobilhersteller und eine Elektronik-Fachmarktkette – umsetzen. Sein Konzept, das Fotostudio für das Textilunternehmen und für externe Kunden arbeiten zu lassen, geht bis heute auf. Und es ist im Kern der Grund, warum der 34-Jährige das WM-Finale der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Rio begleiten darf und dem Team dabei so nahe kommt, wie kein anderer Fotograf vor ihm. Die Textilfirma ist Lizenznehmer des DFB, so entsteht der Erstkontakt. Paul Ripke arbeitet immer wieder für den DFB und einzelne Nationalspieler, man kennt sich also. Für einen Tag im WM-Vorbereitungstrainingslager in Südtirol wird er schließlich gebucht, Brasilien bleibt ihm aber vorerst verwehrt. Ripke bleibt hartnäckig und wendet sich mit einer letzten, fast verzweifelten E-Mail an Team-Manager Oliver Bierhoff, bittet und bettelt: „Liegt es an meinem Aussehen – ich rasiere mich gerne und trage eine Frisur eurer Wahl.“ Bierhoffs Antwort ist kurz und knapp, verändert aber alles im Leben des Fotografen: „Lieber Paul, immer locker bleiben, Haare so lassen und mitkommen. Wir schießen die Tore. Du die Fotos.“ Am Samstag vor dem Finale steigt der Fußballfan ins Flugzeug nach Rio – ohne Akkreditierung als WM-Fotograf, nur mit einer Kamera samt 24-Millimeter-Objektiv und sechs Speicherkarten im Gepäck. Das Finalspiel verfolgt Ripke fast die gesamte Zeit von der Zuschauertribüne, weil er keine Zugangsberechtigung für den Innenbereich bekommen konnte. Als in der 113. Minute das 1:0 fällt, weiß er, dass etwas Einzigartiges bevorsteht. Irgendwie mogelt er sich von der Zuschauertribüne bis an die Seitenlinie zu den Trainern und Betreuern vor, vorbei an den Sicherheitskräften. Unfassbar – aber beim Schlusspfiff steht er mit den WM-Helden auf dem Rasen und macht die Bilder seines Lebens.






Viele Fotografen klagen, der Markt für Fotografie sei auf dem absteigenden Ast. Es gäbe immer weniger gute Aufträge, die angemessen bezahlt würden. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr?
Diese Aussage ist totaler Blödsinn. Gute Qualität hat ihren Preis. Die Auftraggeber – ob Medien oder Unternehmen – erkennen das und sind bereit, dafür angemessen zu zahlen. Diese Erfahrung habe ich in den letzten Jahren immer wieder gemacht – nicht erst seit ich in Rio mit dabei war.
Das große Problem an Fotografie ist ihre Transparenz. Das Foto ist immer das Ergebnis einer Dienstleistung, die der jeweilige Fotograf anbietet. Egal, wie viel Aufwand und Kosten hinter der Produktion stecken – jedes Foto ist immer nur den Preis wert, den ein Käufer bereit ist, zu zahlen. Der Weg dahin ist für die Berechnung der Dienstleistung irrelevant. Aus diesem Grund fühlen sich viele Fotografen unfair bezahlt. Aus meiner Perspektive ist das aber fair. Als Fotograf kann ich frei entscheiden, ob ich mein Bild für 5.000 Euro oder für 5 Euro lizensieren lasse. Fotografen, die sich über unangemessene Bezahlung beschweren, sollten diesen Beruf nicht weiterverfolgen oder einfach nach Nordkorea auswandern.


Die meisten Menschen kennen deine Bilder vom WM-Finale 2014 oder dem Shooting mit Marteria und den Toten Hosen. Sind solche Produktionen auch die lukrativsten Jobs, oder womit verdienst du aktuell dein Geld?
Ja, das stimmt, viele kennen mich durch meine Fotos von Marteria, Campino oder anderen Künstlern. An solchen Fotos verdiene ich aber am wenigsten. Das sind leidenschaftliche Projekte, in die ich sehr viel Zeit und Herzblut investiere, mit denen ich aber weder meine Miete zahlen noch meine Familie ernähren kann.
Ich sehe das eher als ein Investment in die Marke Paul Ripke und somit in meine berufliche Zukunft. Sei bereit, in Dinge zu investieren, es kommt irgendwann zu dir zurück – das war und ist immer mein Credo. Wenn mir jemand eine Anfrage schickt, von der ich sehr überzeugt bin, dann mache ich die Arbeit auch umsonst. Wenn der Auftrag nicht in meinem Interesse liegt und es sich um einen kommerziellen Job handelt, verlange ich entweder eine festgelegte Summe oder lehne den Auftrag einfach ab.
Das meiste Geld verdiene ich aktuell über Werbeproduktionen. Zudem sind meine Fotobände und vor allem die WM-Bücher sehr lukrativ. Ich habe auch schon fast 50 Musikvideos produziert, gerade zuletzt das Video von Sido zur Single „Gürtel am Arm“. Und mittlerweile bin ich auch am Erfolg und den Einnahmen von Marteria beteiligt.
Aus Ripkes Bildern vom WM-Finale in Rio und von der Rückreise nach Deutschland ist ein Buch entstanden, das der Fotograf auch selbst herausgibt: „One Night in Rio“ heißt der Bildband, der inzwischen über 110.000-mal verkauft wurde. Für die Produktion des Buches ist er ein hohes Risiko eingegangen: Noch bevor der DFB und die FIFA dem Druck und der Produktion offiziell zustimmten, hatte Ripke bereits 230.000 Euro investiert. „Ich stand unter Zeitdruck und musste das hochwertige Druckpapier bestellen, damit das Buch noch vor Weihnachten fertig werden konnte“, erklärt Ripke. Das gesamte Projekt hätte jederzeit kippen können, denn die Genehmigung von FIFA und DFB bezüglich der Druckrechte war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher.

Ärgert es dich, dass auf einmal überall Hobby-Fotografen auftauchen und ihre Bilder der Welt zur Verfügung stellen?
Im Gegenteil – ich finde es toll, dass es viele Hobby-Fotografen gibt. Die werden übrigens immer professioneller und bringen oft ganz neue Perspektiven ein. Es gibt mittlerweile Zwölfjährige, die ganze Fotostrecken alleine produzieren können, oder Instagrammer, die nie einen Fotokurs besucht haben und trotzdem mit ihren Naturaufnahmen ein Millionenpublikum erreichen. All sowas war vor fünf Jahren einfach noch nicht da. Man sollte auch nichts dagegen unternehmen, denn damit würde man den Markt für Fotografie zerstören.
Hobby-Fotografen arbeiten unter anderen Bedigungen und mit anderen Qualitätsmaßstäben. Sie stellen für mich keine Konkurrenz dar, vielmehr inspirieren sie mich. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Viele Auftraggeber buchen ausschließlich Profi-Fotografen, weil sie gemerkt haben, dass mangelnde Professionalität und Verlässlichkeit am Ende des Tages teurer zu Buche schlagen.

Du hast gerade Instagrammer angesprochen, die auf der Plattform ein Millionenpublikum erreichen. Einige Unternehmen bieten solchen Foto-Multiplikatoren auch Geld an, damit sie Bilder im Sinne der Marke hochladen. Wäre das auch für dich eine alternative Einnahmequelle?
Ich bekomme regelmäßig Anfragen, obwohl ich selbst erst knapp 60.000 Follower auf Instagram habe. Bislang habe ich noch kein Angebot angenommen. Für mich steht die Authentizität meiner Inhalte im Vordergrund. Ich poste auf meinen Kanälen nur das, was mir in meinem Fotografenleben selbst vor die Linse kommt und persönlich gefällt – das können in der Tat auch Motive oder Inhalte von Auftraggebern sein. Dafür werde ich aber nie bezahlt.
Ich verstehe aber Marken, die auf diese Weise mit ihrem Publikum kommunizieren wollen. Es ist eine wirksame Möglichkeit, Botschaften und Werte einer Marke gerade an ein junges Publikum zu senden. Das Produkt und der Inhalt müssen stimmen. Ansonsten kann der Absender noch so renommiert sein – die Marke wird darüber nicht mehr verkaufen und auch kein gesteigertes Interesse hervorrufen. Ich denke, dass weder ich noch andere Werbetreibende das Interesse an einem Musiker oder den Absatz eines Produktes steigern können, wenn der Inhalt und das Produkt nicht überzeugen.


Welche Rolle spielt Social Media in deinem Joballtag? Wie nutzt du die Plattformen und welche Erfahrungen hast du bislang gesammelt?
Fakt ist: Ich bin süchtig nach Instagram. Ich kann dir die Bilderhistorien von fast allen Personen erzählen, denen ich auf Instagram folge. Das sind über 800. Hinzu kommt, dass ich selbst täglich auf Instagram und Facebook Beiträge poste und jeden einzelnen Kommentar lese. Social Media ist ein Zeitkiller mit hohem Suchtpotenzial. Aber es ist auch das transparenteste Medium, das es gibt.
Die wichtigste Lektion aus meiner Sicht: Hab Spaß daran und sei authentisch. Hinter meinen Aktivitäten stand nie ein ausgeklügelter Marketingplan. Ich nutze Social Media primär aus Interesse und Leidenschaft. Deswegen bin ich auch immer selbst der größte Fan meiner Inhalte auf Facebook oder Instagram. Authentizität im Social Web ist ein bedeutender Erfolgsfaktor. Siehe Lukas Podolski – er kommt deshalb in den sozialen Netzwerken so gut an, weil er sich dort genauso präsentiert, wie er ist (Anm. der Redaktion: Ripke arbeitet für den Nationalspieler und produziert Bilder und Videos von Podolski – u.a. für den Social-Media-Auftritt des Nationalspielers).
Ich habe festgestellt, dass die Vielfalt der Themen eine bedeutende Rolle spielt. Ich durfte in den letzten zwei Jahren viel reisen und dabei ganz unterschiedliche Personen – sprich Künstler, Models und Sportler – begleiten. Der Themenmix ist wichtig und weckt Interesse.

Du hast angedeutet, dass du auf Instagram im Vergleich zu manch anderen noch nicht richtig durchgestartet bist. Woran liegt das?
Ich habe einige Regeln, an die ich mich halte: Ich zeige nie Bilder von meiner Frau, meinen Kindern, meiner Wohnung oder meinem Auto. Das ist auch der Grund, warum ich bei Instagram noch nicht wirklich groß bin. Mit größerem Fokus auf meinem Privatleben würde ich in den sozialen Medien vermutlich schneller wachsen. Ich folge einigen Personen, die alles aus ihrem Privatleben teilen. Völlig tabu für mich sind das Veröffentlichen von Hotelzimmer- und Flugticket-Bildern oder andere plumpe Angebereien. Mich nervt diese permanente Selbstdarstellung eher.
Aber was machst du anders? Du setzt dich doch im Web auch sehr stark selbst in Szene.
Man findet zwar häufig Bilder von mir, aber immer im Kontext meines Jobs und vor allem mit viel Selbstironie. Man muss wissen: Ich nehme mich selbst nicht so ernst, das spiegelt sich in meinen Posts auch wider. Dennoch sind es immer Ausschnitte aus meinem echten Leben. In Social Media gibt es viele unechte Internet-Persönlichkeiten, die ihrer Community einen bestimmten Lifestyle vorgaukeln. Ich glaube nicht an diese unechten „Internet-Stars“ und denke, dass sie damit auch künftig scheitern werden. Die Community merkt sowas und enttarnt Schaumschläger.


Welchen Anteil hat Social Media an deinem Erfolg?
Einen großen – meine Karriere wäre vor zehn Jahren so noch nicht möglich gewesen. Es gab diese Kanäle einfach noch nicht. Über sie nehmen mich auch Menschen als Fotograf wahr, die beruflich nichts mit der Fotografie zu tun haben, und das ist natürlich positiv für mich.
Früher hat auch einfach die direkte Kommunikation gefehlt: 90 Prozent meiner Jobs werden direkt generiert und nicht über einen Art-Buyer. Trotzdem ist Social Media kein alleiniger Erfolgsgarant. Es ist wie mit einem Essen im Restaurant: Ohne die guten Zutaten, einen guten Koch und ansprechendes Arrangement auf dem Teller schmeckt das Essen den Gästen nicht automatisch.
Welchen Rat gibst du jungen Menschen, die mit der Fotografie langfristig Geld verdienen wollen?
Viel Übung und Fleiß, klingt langweilig, ist aber elementar. Die Leidenschaft zur Fotografie muss so groß sein, dass man bereit ist, im Privatleben zurückzustecken. Viele behaupten, der Job stehe an erster Stelle. In der Realität leben dann aber die wenigsten diese Philosophie. Wenn Marteria an meinem Hochzeitstag anruft und Fotos haben will, muss meine Frau halt alleine feiern.
Was ich zudem immer wieder feststelle: Man muss gut mit Menschen umgehen, sich auf ganz unterschiedliche Typen einstellen können. Bestimmte Bilder kriegt man nur dann hin, wenn man nah an die Protagonisten herankommt. Und das wiederum klappt nur, wenn man ein Gespür für Menschen hat, schnell versteht, wie sie ticken und mehr Freund als Fan des Porträtierten ist.
Mein wichtigster Rat: Ich habe in meinem Leben viele Klinken geputzt und häufig umsonst für andere Leute gearbeitet. Dieses Investment kommt irgendwann zurück – daran glaube ich fest.
